Gebiete, in denen sich die Asiatische Buschmücke mit mindestens 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ausbreiten wird. Grafik: Hannes Schulze / NurMut

Sie kommen über die unterschiedlichsten Wege und Transportmöglichkeiten nach Europa: Invasive Mückenarten sind auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Neue Gebiete besiedeln sie erfolgreich, nicht zuletzt, weil der Klimawandel ihnen günstigere Lebensbedingungen beschert. Seit 2012 erfassen Forscherinnen und Forscher diese Entwicklungen im Projekt Mückenatlas. Mit mathematischen Modellen gehen sie jetzt einen Schritt weiter und treffen computergestützte ​Vorhersagen über deren Verbreitung.

Über 3500 verschiedene Stechmücken-Arten gibt es weltweit, rund 50 davon sind in Deutschland heimisch. Ihre Zahl dürfte künftig steigen, denn zur Gemeinen Hausmücke gesellen sich neue Arten – wie etwa die Asiatische Buschmücke. Die große Frage: Wie werden sich diese neuen, exotischen Arten etablieren und räumlich ausbreiten? Werden sie dauerhaft in Deutschland bleiben?

Die Antworten sind schwierig zu finden. Nicht nur die Bedürfnisse der einzelnen Mückenarten müssen genau bekannt sein, sondern auch, unter welchen Voraussetzungen sie Nachkommen produzieren oder in welche Gebiete sie bevorzugt einwandern. Dr. Ralf Wieland vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. ist von Haus aus Informatiker. Mit Hilfe eines Computermodells will er die zukünftige Verbreitung von Mückenpopulationen vorhersagen. Als Grundlage dient die Datenbank des Forschungsprojektes Mückenatlas, das vom ZALF und dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) ins Leben gerufen wurde. Seit 2012 werden mit Hilfe von privaten Zusendungen und eigenen Beobachtungen die Verbreitung der Stechmücken in Deutschland kartiert. Das Modell von Dr. Wieland verknüpft diesen riesigen Datenfundus mit insgesamt 37 Wettervariablen: Regenmengen, Monatstemperaturen, Frosttage oder ein Dürre-Index gehören dazu.

Die Menge der Daten ist enorm und nur mit großer Rechenleistung und hoher Speicherkapazität zu bewältigen. Mehr als 137 Milliarden Simulationsschritte, von denen jeder mindestens eine Sekunde dauert, müssten durchgeführt werden – das entspräche einer Gesamtrechenzeit von rund 4000 Jahren. »Solange kann natürlich keiner warten«, sagt Dr. Wieland. Selbst das Computercluster am ZALF würde für alle Rechenvarianten mehr als 34 Jahre benötigen.​

 

Die Evolution im Computer

​Doch Dr. Wieland löste das Problem mit einer Methode, die er als »Genetischen Optimierungsalgorithmus« bezeichnet. Ähnlich wie in der Natur durchläuft das Modell eine Art Evolution, bei der sich bestimmte vielversprechende Faktoren durchsetzen, während andere verworfen werden. Der Rechenaufwand verringert sich durch dieses Training nach und nach. Am Ende hat das Modell gelernt, wichtige von unwichtigen Faktoren zu unterscheiden. So kam heraus, dass nur acht Wettervariablen für die Mücken entscheidend sind, darunter die Regenmengen im Frühjahr oder die Temperaturen im Frühsommer.

Die Angaben des Computermodells werden ständig mit den aktuellen Kartierungsergebnissen des Mückenatlas verglichen. Dabei zeigte sich, wie schnell die Simulation der Realität beeindruckend nahe kam. Aus den Daten der Jahre 2012-2015 berechnete das Modell beispielsweise, dass sich die Asiatische Buschmücke in 2016 im Umkreis von Jena in Thüringen ansiedeln würde: eine Vorhersage, die sich präzise bestätigte. Mit jedem neuen Mückenfund wird das Computermodell zuverlässiger und liefert dem Team vom Mückenatlas immer treffsicherere Hinweise auf mögliche Ausbreitungsgebiete. »Wir schicken Zehntausende virtuelle Mücken auf die Reise und verfolgen jeden einzelnen Weg«, erklärt Dr. Wieland.

Gemeinsam mit seinem Team arbeitet er weiter an den Feinheiten des Modells. Der Klimawandel soll in Zukunft ebenso berücksichtigt werden wie charakteristische Landschaftsmerkmale oder menschliche Eingriffe. Welche Barrieren müssen die Mücken überwinden? Welche Leitwege fördern ihre Ausbreitung? So zeigte sich dem Mückenatlas-Team, dass sich neue Verbreitungsgebiete der Asiatischen Tigermücke fast immer entlang von Autobahnen finden lassen – eine weitere Variable, um die das Modell nun ergänzt werden soll.

Mit den Ergebnissen können schließlich Verbreitungskarten für die Zukunft erstellt werden. Bereits jetzt simuliert das Modell, unter welchen Bedingungen die Asiatische Buschmücke in Deutschland noch sesshaft werden könnte: »Sie wird sich im gesamten westdeutschen Bundesgebiet, auch in Thüringen, Teilen von Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen ansiedeln. Bis zum Jahr 2060 im Prinzip in ganz Deutschland.« So ist der weitere Weg der Mücken virtuell bereits vorgezeichnet und liefert der Mückenforschung damit wichtige Hinweise und Impulse für deren Suche in der Realität.

Sein Modell kann Dr. Wieland nicht nur auf Mücken anwenden, es würde genauso gut für andere Tiere funktionieren. »Wir sind mitten in einer großen Revolution der Wissenschaft«, betont er. Natürlich seien einzelne Forschende auch in Zukunft nicht durch Maschinen ersetzbar. »Aber der Computer ermöglicht uns heute datengestützte Einsichten in Zusammenhänge, die noch vor wenigen Jahren aufgrund der fehlenden Rechenleistung schlichtweg nicht möglich waren.«

T​ext: Heike Kampe

Infomaterial und weiterführende Informationen: